Der LRS-Erlass – Theorie und Praxis

 

Der LRS-Erlass NRW wurde bereits 1991 vom Kultusministerium beschlossen. Zielgruppe sind Kinder, die besondere Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Rechtschreibens haben.

Für diese Kinder werden Maßnahmen in folgenden Bereichen festgelegt:

  • Allgemeine Fördermaßnahmen

Binnendifferenzierter Förderung im Rahmen der allgemeinen Stundentafel, d. h. innerhalb des Klassenverbandes

  • Zusätzliche Fördermaßnahmen

Zusätzlicher LRS-Förderunterricht in der Grundschule von der 1- 4. Klasse und in der weiterführenden Schule bis Klasse 10

  • Außerschulische Fördermaßnahmen

Verweis auf außerschulische Förder- und Therapieangebote durch die Lehrkräfte, wenn die schulischen Maßnahmen ausgeschöpft sind

  • Erteilung von Nachteilsausgleichen

Die Erteilung von Nachteilsausgleichen umfasst z. B. Zeitzugaben bei Klassenarbeiten, abgeänderte Aufgabenstellungen, Benutzung von Hilfsmitteln.

  • Erteilung von Schutzmaßnahmen

Unter Schutzmaßnahmen fallen z. B. die zurückhaltende Gewichtung von Rechtschreibleistungen oder die Nichtberücksichtigung der Leistungen im Lesen und Schreiben für die Versetzung.

 

Theorie versus Praxis

Soweit zur Theorie auf dem Papier. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es kein einheitliches Vorgehen gibt, sondern es sehr häufig von der jeweiligen Schule bzw. der Deutschlehrkraft abhängt, wie der LRS-Erlass umgesetzt wird.

Wir haben in unserer langjährigen Erfahrung im Bereich der LRS-Therapie die Gelegenheit gehabt, mit vielen unterschiedlichen Kindern sowie Lehrerinnen und Lehrern aller Schulformen zusammenzuarbeiten.

Diese Erfahrungen haben wir zusammengetragen, um Ihnen einen Einblick zu geben, was, neben den konkreten Maßnahmen aus dem Erlass, noch wichtig ist.

A und O: die Beziehung zwischen Lehrkraft und Kind

Die im LRS-Erlass notierten Maßnahmen zum Nachteilsausgleich sind „Kann“-Maßnahmen. Die Lehrkräfte haben somit einen Ermessensspielraum. Sehen Lehrkräfte ein motiviertes Kind, das mündlich gut mitarbeitet, dann fällt es ihnen vermutlich leichter, die Möglichkeiten des Erlasses auszuschöpfen und dem Kind beispielsweise mit anderen Aufgabenstellungen entgegenzukommen.

Fällt das Kind jedoch vorrangig dadurch auf, dass es seine Schwäche durch Rumkaspern, unsoziales Verhalten oder Rückzug kompensiert, am Unterricht nicht freiwillig teilnimmt oder diesen stört, wird es auch für die Lehrkräfte schwerer, hinter diesem Verhalten die Not eines Kindes zu sehen, das im Lesen und Schreiben mit großer Überforderung kämpft.

Die Erfahrungen zeigen, dass es sich andersherum ebenso verhält. Ein Kind, dem mit Vertrauen und Zuversicht begegnet wird, dessen Schwierigkeiten ernst und wahrgenommen werden, arbeitet sehr viel bereitwilliger mit und versucht aus sich heraus, den Erwartungen der Lehrkraft gerecht zu werden und zu lernen. Dem Kind jedoch – wenn auch unbewusst – zu vermitterln, es sei faul oder dumm, führt in vielen Fällen zu wenig konstruktiven Reaktionen auf Seiten des Kindes.

Eben diese Beziehungsgefüge in einer Klasse und zwischen Lehrkraft und Schüler/in kann kein Erlass regeln.

Das meint: Lehrkräfte, die Verständnis aufbringen für die „problematischen“ Kinder und ihnen einen Vertrauensvorschuss gewähren, in dem sie sie nicht unnötig unter Druck setzen, tragen viel dazu bei, dass das Kind die Lust am Lernen behält und seine Schwierigkeiten besser meistert. Um dies leisten zu können, spielen die Vorerfahrungen und das Wissen über das Thema LRS bei den Lehrkräften eine immense Rolle.

Ebenso ist es wichtig, dass auch das Kind sich auf den Unterricht einlässt und seinen wohlbegründeten Frust nicht auf Kosten des Unterrichtsklimas ausagiert. Hier ist auch die Unterstützung bedeutsam, die das Kind außerhalb der Schule erfährt.

Die Einstellung der Schulleitung

Es kann noch so viel guter Wille bei den einzelnen Lehrkräften bestehen, leider gibt es nach wie vor Schulleitungen, die Lese- Rechtschreibschwäche für eine Modeerkrankung halten.

An einer Schule, an der dem Thema LRS kein hoher Stellwenwert beigemessen wird, empfiehlt es sich im Sinne ihres Kindes über einen Schulwechsel nachzudenken bzw. sich vor einem Wechsel auf die weiterführende Schule zu erkundigen, wie die Schule den LRS-Erlass umsetzt.

Die meisten Schulen sind sehr bemüht, den LRS-Erlass bestmöglich umzusetzen, manchmal scheitert dieses Ziel jedoch an den strukturellen Rahmenbedingungen. Hier lohnt es sich, im Gespräch mit den beteiligten Lehrkräften nach einer Lösung zu suchen.

Die Rolle der außerschulischen Lerntrainerin/des Lerntrainers

Oft erleben unsere I.D.L.-Lerntrainerinnen, dass bereits ihr erstes Gespräch mit der Lehrkraft den Blick auf das Kind verändert. Wir versuchen Verständnis für die Nöte des Kindes zu wecken und für seine daraus erwachsenen Kompensationsstrategien. Wenn das gelingt, ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer besseren Beziehung getan.

In den regelmäßig stattfindenden Gesprächen zwischen der I.D.L.-Lerntherapeutin und den Deutschlehrkräften können offene Fragen geklärt werden und oftmals Tipps zum Umgang weitergegeben werden. Es kann z. B. schon eine große Hilfe sein, wenn Textaufgaben in Mathematikarbeiten einmalig vorgelesen werden. I.D.L-Kinder berichten im Lerntraining immer wieder von der Erfahrung, dass sie allein um die Aufgabenstellung zu verstehen viel Zeit brauchen, die ihnen dann für das Bearbeiten der Aufgaben fehlte.

Welche sonstigen Maßnahmen helfen

Im LRS-Erlass werden bereits viele unterstützende Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs benannt. Zusätzlich hilfreich können folgende Punkte sein:

  • Schriftliche Aufgabenstellungen vorlesen oder vorlesen lassen, insbesondere in Klassenarbeiten.
  • Wenn es zu der Persönlichkeit eines Kindes passt, dieses mündlich mehr fordern.
  • Da LRS-Kinder oftmals bei der Verschriftlichung ihrer Gedanken große Schwierigkeiten haben, können sie Aufsätze der Lehrkraft auch diktieren.
  • LRS-Kinder brauchen manchmal ganz eigene Tipps, um etwas besser zu verstehen, oftmals helfen hier auch multisensorische Methoden
  • Einige Lehrkräfte berichten auch, dass sie ohne „offiziell“ den Erlass zu bemühen, die Rechtschreibleistung weniger bewerten, wenn das Kind ganz offensichtlich den Stoff gut beherrscht; allein die Freude, dass nicht jeder Fehler „geahndet“ wird, verhilft diesen Kindern oft zu motivierterer Mitarbeit.

 

Haben Sie weitere Erfahrungen, welche Maßnahmen bei Ihrem Kind oder Ihren Schülerinnen und Schülern geholfen haben? Berichten Sie uns davon! Gerne ergänzen wir die Sammlung.

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