Ursachen einer LRS (Legasthenie)

 

In jedem Klassenzimmer sitzt durchschnittlich ein Kind mit einer Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie). Gemeint sind hier diejenigen Kinder, die trotz ausreichender Beschulung und einer mindestens durchschnittlichen Intelligenz anhaltende Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb haben.
Da stellt sich die Frage, woher diese Störung eigentlich kommt und wodurch sie verursacht wird. Und ob sie gegebenenfalls verhindert werden kann. Diese Fragen versuche ich im Folgenden für Laien verständlich zu beantworten.

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurden erste Forschungen zu den Ursachen einer Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie) durchgeführt. Damals fand die Wissenschaft erste Hinweise auf ein familiär gehäuftes Auftreten. Auch nach über 100 Jahren sind die Ursachen einer LRS nicht in Gänze aufgeklärt. Belegt ist mittlerweile, dass Legasthenie nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen ist, sondern eine Vielzahl von Faktoren ineinandergreifen. Diese schauen wir uns im Folgenden genauer an.

Die Gene spielen ihre Rolle

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine Legasthenie familiär gehäuft auftritt. Die genauen Zahlen schwanken je nach Studie. Leidet ein Elternteil an einer Legasthenie, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind auch eine Lese- und/oder Rechtschreibstörung entwickelt, bei fast 50 %. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Vererbt wird allerdings nur die Disposition, also die Veranlagung, einer Legasthenie.

Die Bedeutung der auditiven Wahrnehmung

Für den Schriftspracherwerb ist besonders die auditive Wahrnehmung von Bedeutung, d. h. die Fähigkeit, Sprache wahrzunehmen, Laute zu verarbeiten und in Schriftsprache umzusetzen.
Zur auditive Wahrnehmung und Verarbeitung gehört beispielsweise die auditive Differenzierung, also das Unterscheiden zwischen ähnlich klingenden Lauten wie z. B.: [p] und [b], [f] und [w] oder [i] und [e]. Kindern mit einer LRS fällt das Erkennen dieser feinen, lautlichen Unterschiede häufig schwer.

Darüber hinaus gibt es auch noch das auditive Gedächtnis, auch als phonologisches Arbeitsgedächtnis bezeichnet. Das meint die Fähigkeit des Gehirns, kurzzeitig Erlesenes oder Gehörtes zu speichern, um in der Folge Laute zu erkennen und diese in Buchstaben und Wörter zu „übersetzen“. Auch hier sind unsere LRS-Kinder im Nachteil. Nicht nur, dass sie die einzelnen Laute nicht immer richtig verstehen, so werden diese häufig auch unzureichend abgespeichert. Und somit fehlt ihnen die benötigte Zeit, das Gehörte zu den richtigen Wörtern zusammen zu fügen.

Das Konstrukt der phonologischen Bewusstheit

Diese und andere Fähigkeiten werden auch unter dem Begriff phonologische Bewusstheit zusammengefasst. Schulte-Körne (2001) definiert phonologische Bewusstheit „als übergeordnete[n] Begriff für verschiedene lautanalytische Prozesse […], die sich hinsichtlich der Komplexität der zu verarbeitenden Strukturen (Phonem, Reim, Silbe) sowie der mit den Aufgaben verbundenen kognitiven Prozesse unterscheiden.“

Bereits im Kindergarten lernen Kinder, Reime zu erkennen, z. B. Baum – Raum, und Silben zu klatschen wie bei Raum–an–zug. Für Kinder mit einer ausgeprägten Legasthenie weisen Studien deutliche Defizite in diesen Bereichen nach. Mit dem Bielefelder Screening (BISC) können bereits vor Schuleintritt Vorläufermerkmale für das Auftreten einer LRS erkannt und Risikokinder identifiziert werden.

Die Bedeutung der visuellen Wahrnehmung

Im Kleinkindalter nehmen Kinder die Welt als Ganzes wahr: Tassen sind Tassen, Bäume sind Bäume. Wenn man Tassen als Tassen erfasst, ist es egal, ob der Henkel rechts oder links ist; man kann die Tasse sogar noch erkennen, wenn sie auf dem Kopf steht oder der Henkel kaputt ist. In dieser Welt der Gegenstände kommt es nicht auf Details an; man braucht nicht (visuell) analysieren zu können.

Wenn Kinder allerdings Buchstaben voneinander unterscheiden sollen, dann ist es von sehr großer Bedeutung, ob der Bauch (Henkel) links oder rechts, oben oder unten ist. Diese Unterscheidung ähnlich aussehender Buchstaben (z. B. p / b / d / q) ist für das Lesen eine notwendige Wahrnehmungsleistung. Kinder die Probleme mit der visuellen Differenzierung haben, werden auch Probleme beim Lesen haben.

Ein Forschungsbereich beschäftigt sich auch mit der Blicksteuerung, d. h. den Augenbewegungen, die beim Lesen notwendig sind. Die Annahme ist, dass sprunghafte oder verzögerte Blickbewegungen zu Leseproblemen führen.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass das gute Zusammenspiel visueller und auditiver Informationen für den Schriftspracherwerb unerlässlich ist (Lesen Sie hierzu auch unseren Blogbeitrag zu Teilleistungen). Treten in dem einen oder anderen Bereich Probleme auf, die die Kinder nicht kompensieren, d. h. ausgleichen können, kommt es zu Störungen im Schriftspracherwerb. Diese Schwierigkeiten lassen sich häufig schon im Vorschulalter erkennen. Je früher demnach eine fundierte Diagnostik erfolgt und eine professionelle Förderung beginnt, desto weniger stark wird das Kind von den Auswirkungen betroffen sein.

Wir hoffen, dieser Beitrag konnte Ihnen einen ersten Einblick in die komplexen Ursachen einer Legasthenie vermitteln und Ihnen ein größeres Verständnis für die Schwierigkeiten Ihres Kindes/Ihres Schülers mit auf den Weg geben.

Es grüßen herzlich,
Ihre Susanne Keßler & Jennifer Bubolz (August 2015)

 

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