Nachteilsausgleich Dyskalkulie und Rechenschwäche
Von einem Nachteilsausgleich für eine Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS), dem sogenannten LRS-Erlass, haben Sie vielleicht schon einmal gehört.
In unseren letzten Blogbeiträgen sind wir bereits den Überschneidungen zwischen einer Legasthenie und einer Dyskalkulie nachgegangen. Bei beiden sind die Ursachen häufig auf Schwächen im Wahrnehmungsbereich, der Aufmerksamkeitsfokussierung und einer genetischen Veranlagung zurück zu führen.
Die Symptome zeigen sich dann entweder beim Erlernen des Lesens und Schreibens oder beim Rechnen. In einigen Fällen, bei ca. 18% der Kinder, in beiden Bereichen. Von den sogenannten Sekundärsymptomen sind beide Gruppen gleichermaßen betroffen. Die Kinder leiden darunter, in der Schule nicht mitzukommen und in der Folge Minderwertigkeitsgefühle zu entwickeln. Trotz dieser vielen Überschneidungen, gibt es bislang keinen Dyskalkulie-Erlass, den Kinder mit einer Rechenschwäche in Anspruch nehmen können.
Dieser Beitrag gibt Ihnen einen Überblick über den aktuellen Stand zu dem Thema Nachteilsausgleich für Dyskalkulie. Er führt auf, welche Maßnahmen Schulen ergreifen können, um rechenschwache Kinder zu unterstützen und was Eltern dafür tun können, damit ihrem betroffenen Kind geholfen wird.
Was regelt ein Nachteilsausgleich?
Nun zuerst aber einmal die Frage: was regelt ein Nachteilsausgleich eigentlich?
Er soll sicher stellen, dass für betroffene Menschen eine nachteilige Situation ausgeglichen wird, um Chancengleichheit (im Bildungssystem) herzustellen.
Eine nachteilige Situation kann durch eine Behinderung, einen Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung, eine chronische Erkrankung oder bei besonderen Auffälligkeiten bestehen. Kinder mit einer LRS fallen unter eben diese Bezeichnung der „besonderen Auffälligkeiten“. Für diese gilt dann der LRS-Erlass.
Ein Nachteilsausgleich kann z.B. dahin wirken, dass den Schülerinnen und Schülern mehr Zeit für die Klassenarbeiten eingeräumt wird, dass Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden oder die Aufgabenstellung reduziert wird.
Es wird anerkannt, dass es auch Kinder mit besonderen Auffälligkeiten im Bereich Rechnen gibt. Eine verbindliche Regelung gibt es für diese aber (noch) nicht.
Die schulrechtliche Basis für einen Nachteilsausgleich bilden die Schulgesetze der einzelnen Bundesländer. Damit entscheidet die Kultusministerkonferenz der jeweiligen Bundesländer über die jeweiligen Regelungen für das eigene Bundesland.
Stand der Dinge: Nachteilsausgleich Dyskalkulie und Rechenschwäche in NRW
Für rechenschwache Kinder gibt es in den wenigsten Bundesländern verbindliche Regelungen für einen Ausgleich. In Nordrhein-Westfalen gibt es keinen Erlass für Dyskalkulie und Rechenschwäche.
Es liegt im Ermessen der einzelnen Schule, und hier speziell der Schulleitungen, ob und inwiefern sie betroffenen Schülerinnen und Schülern entgegen kommen. Es gibt also keine einheitlichen Grundsätze zum schulrechtlichen Umgang. Somit fehlt Lehrkräften ein Orientierungsrahmen und den Eltern die Möglichkeit, zuverlässig einen Ausgleich für ihr Kind zu erzielen.
Grundsätzlich liegen der Bildungsauftrag und die Verpflichtung jedem Kind das Rechnen beizubringen, auf Seite der Schulen. Somit ist es auch Aufgabe der Lehrkraft anhaltende Schwierigkeiten, die auf eine Dyskalkulie hindeuten, zu bemerken und zu thematisieren.
Schulen können in der Regel keine derart individuelle Förderung anbieten, die ein dyskalkules Kind benötigt. Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe an Maßnahmen, die sie umsetzen können, um einem betroffenen Kind zu helfen.
Das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW hat auf seinen Seiten Arbeitshilfen für Schulen, nach Klassenstufen geordnet, herausgebracht: Arbeitshilfen für Schulen. Hier ist geregelt, in welchen Fällen ein Ausgleich gewährt und umgesetzt werden kann.
Im letzten Absatz wird jeweils auf „besondere Auffälligkeiten im Bereich Rechnen“ eingegangen. Eine Gleichstellung zu LRS wird abgelehnt. Es wird allerdings darauf verwiesen, dass eine individuelle Förderung und besondere Unterstützungsmaßnahmen hilfreich sein können. Genannt werden hier räumliche und zeitliche Unterstützungsmaßnahmen sowie die Ermöglichung eines reizfreien Arbeitsplatzes und Zeitzugaben.
Umsetzung in der Schule
Damit liefert die Orientierungshilfe des Ministeriums bereits erste Anhaltspunkte, an denen sich Lehrkräfte orientieren können.
Mit dem Thema Dyskalkulie-Erlass hat sich u.a. der Bundesverband für Legasthenie und Dyskalkulie beschäftigt und konkrete Umsetzungsschritte für Schulen erarbeitet.
Durch folgende Maßnahmen können Nachteilsausgleiche für dyskalkule Kinder geschaffen werden:
- Zeitzugabe oder Reduktion des Prüfungsumfanges aufgrund der langsameren Verarbeitung von Zahlen und Mengen und mangelndem Faktenwissen
- Einsatz von Einspluseins-/und Einmaleins-Tabellen und/oder Taschenrechnern für Klassenarbeiten
- Verständnishilfen und zusätzliche Erläuterungen bei Aufgabenstellungen
- Schaffung eines ausreichend ruhigen Arbeitsplatzes
- Versetzung unabhängig von mangelhaften Leistungen im Fach Mathematik
Zusätzlich sollte Beachtung finden, dass dyskalkule Kinder für den Umgang mit Zahlen und Mengen (auch in anderen Unterrichtsfächern) ein hohes Maß an Konzentration benötigen. Eine schnellere Erschöpfung ist vorprogrammiert.
Schwierigkeiten können auch dabei auftreten, Statistiken zu entschlüsseln oder Aufgabenstellungen mit vielen Zahlwörtern zu verstehen. Das sollte auch in anderen Unterrichtsfächern mitgedacht werden.
Handlungsspielräume für Eltern und Lehrkräfte
Der oben benannte Maßnahmenkatalog oder einzelnen Bausteine daraus, können mit Einverständnis der Schulleitung umgesetzt werden. Wie beschrieben können Eltern von betroffenen Kindern –anders als beim LRS-Erlass – allerdings darauf keinen Rechtsanspruch geltend machen. Sie sind auf das Entgegenkommen der zuständigen Schulleitung angewiesen.
Oftmals mangelt es an den Schulen noch an ausreichend Wissen über das komplexe Bild der Dyskalkulie. Dann wird mit dem Hinweis darauf, dass eine Rechenstörung nicht mit einer LRS gleichzusetzen ist, eine Anfrage abgewiesen. Oft wird auch angebracht, dass eine Notengebung im Fach Mathematik und angrenzender Fächer bei Berücksichtigung von Rechenstörungen kaum möglich sei.
Die oben benannte Orientierungshilfe argumentiert ganz ähnlich und nennt dennoch die Möglichkeit individueller Förderung und besonderer Unterstützungsmaßnahmen.
Hierauf können sich betroffene Eltern beziehen, wenn sie für ihr Kind einen Ausgleich anstreben. Eine Garantie für die Umsetzung ist auch das nicht.
Ausblick
Bis es zu dem mittlerweile anerkannten LRS-Erlass kam, war eine lange Durststrecke für betroffene Kinder und Eltern von Nöten. Experten gehen davon aus, dass im Laufe der Zeit und mit zunehmender Information zu Rechenschwäche/und –störungen an den Schulen ebenfalls eine Form des Nachteilsausgleichs gefunden wird.
Bis dahin können Lehrkräfte in Absprache mit ihrer Schulleitung und dem Kollegium individuell unterstützende Maßnahmen ergreifen. Eltern sollten das Gespräch mit der zuständigen Mathematikkraft und der Schulleitung suchen.
Nur wenn das Thema Dyskalkulie zunehmend ins Bewusstsein der Schulen und der Öffentlichkeit kommt, werden auch entsprechende Schritte auf Seiten der Rechtsprechung folgen.
Daneben ist es unerlässlich einem Kind mit einer Rechenstörung eine individuelle, außerschulische Förderung zu ermöglichen. Eine solche werden Schulen auch in Zukunft nicht in dem Umfang gewährleisten können, wie betroffene Kinder es benötigen.
In dem Sinne wünschen wir uns eine wache Öffentlichkeit, die das Thema Rechenschwäche und die unterstützungsbedürftigen Kinder in den Blick nimmt.
Ihre Jennifer Bubolz (Oktober 2015)
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