Früherkennung einer Lese- Rechtschreibschwäche – Das Bielefelder Screening
In unserem Blogbeitrag zu den sogenannten Sekundärsymptomen von Lernschwächen haben wir gesehen, wie ein Teufelskreis aus schwierigen Erfahrungen in der Schule und einem negativen Selbstkonzept entstehen kann. Deutlich wurde dabei: Je früher eine Lese-Rechtschreibschwäche oder auch eine Rechenschwäche erkannt werden, desto besser kann den Kindern geholfen werden und desto geringer prägen sich Folgeerscheinungen aus.
Was liegt also näher, mit der Früherkennung bereits vor Schuleintritt zu starten? Hier setzt das Bielefelder Screening an, das wir uns in diesem Beitrag genauer anschauen.
Vorläuferkompetenzen für den Schrift- und Leseerwerb
Mittlerweile hat die Forschung einige Vorläuferkompetenzen für den Lese- und Schriftspracherwerb dingfest machen können. Diese sind zum Teil angeboren und werden von den Kindern in der Regel in den Jahren vor Schuleintritt ganz nebenher durch das Zuhören beim Vorlesen, durch Reimen, Singen und im Spiel entwickelt.
Zu den für den Schriftspracherwerb relevanten Merkmalen gehören besonders die Ausbildung der sogenannten phonologischen Bewusstheit, der reibungslose Zugriff auf das Kurz- und Langzeitgedächtnis sowie die Fähigkeit zur visuellen Aufmerksamkeitssteuerung.
Wie funktioniert die Früherkennung einer LRS bzw. das Bielefelder Screening?
Das Bielfelder Screening (BISC) ist ein erprobtes Verfahren zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten, das bei Vorschulkindern zehn und/oder vier Monate vor der Einschulung einsetzbar ist. Es testet die Ausprägung der vier oben benannten Vorläuferfähigkeiten.
Das Verfahren wurde im Rahmen eines Projektes zur „Früherkennung und Prävention von Risiken der Lese-Rechtschreibschwäche“ an der Universität Bielefeld entwickelt.
Wie das genau funktioniert, schauen wir uns im Folgenden an.
Phonologische Bewusstheit
Unter phonologischer Bewusstheit verstehen wir im Folgenden „die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf die formalen Eigenschaften der gesprochenen Sprache zu lenken, z.B. auf den Klang der Wörter beim Reimen, auf Wörter als Teile von Sätzen, auf Silben als Teile von Wörtern und letztendlich vor allem auf die einzelnen Laute der gesprochenen Wörter.“ (Quelle).
Mittlerweile wurde nachgewiesen, dass die Ausprägung der phonologischen Bewusstheit ein wesentliches Kriterium für einen sicheren Lese- und Schriftspracherwerb ist. Bei Kindern im Vorschulalter ist sie noch beschränkt auf das Erkennen von Silben, Reimen und betonten Vokalen. Durch eine rhythmische Untermalung wie z.B. das Silbenklatschen, können Kinder besonders gut ihre phonologische Bewusstheit erproben.
Im BISC wird das Vorliegen der phonologischen Bewusstheit durch verschiedene Aufgaben getestet. Einige davon sind u.a. passende Reimpaare zu finden, eine Laut-zu-Wort-Zuordnung vorzunehmen, z.B. mit Fragen wie „Hörst du A in Apfel? Hörst du A in Birne? Und das oben bereits erwähnte Silbenklatschen.
Abruf aus dem Langzeitgedächtnis
Um richtig schreiben zu können, muss es gelingen Gesprochenes mit den dazugehörigen Buchstaben (Schriftsymbolen) zu verknüpfen. Diese Verknüpfungen werden mit der Zeit im Langzeitgedächtnis abgespeichert und können so automatisiert abgerufen werden. Das Langzeitgedächtnis muss also reibungslos funktionieren, Schrift-Sprach-Verbindungen sollten schnell abrufbar sein.
Da Kindergartenkinder in der Regel noch nicht über ein breites Buchstabenwissen verfügen, wird diese Kompetenz durch die Zuordnung von Grundfarben getestet. Die Aufgabenstellung im BISC sieht vor, dass Farben schnell benannt werden. Ausschlaggebend ist hier die Zeit.
Repräsentation von Schriftsymbolen im Kurzzeitgedächtnis
Um einen gehörten Satz korrekt aufschreiben zu könne, z.B. in einem Diktat, braucht es ein reibungslos funktionierendes Kurzzeitgedächtnis. Dieses ermöglicht, Laute, Buchstaben und Wörter solange im Gedächtnis zu behalten bis sie verarbeitet sind, also z.B. auf das Papier gebracht wurden.
Das Funktionieren des Kurzzeitgedächtnisses wird im BISC durch das Nachsprechen von sogenannten Pseudowörtern getestet, z.B. sollen die Kinder ein Wort wie Kimikiri nachsprechen.
Visuelle Aufmerksamkeitssteuerung
Mit visueller Aufmerksamkeitssteuerung ist die Fähigkeit gemeint, kleine Unterschiede von Buchstaben und Wörtern gezielt wahrzunehmen. Kinder müssen die aufgenommenen visuellen Informationen (im Gehirn) richtig verarbeiten können, um das Lesen zu erlernen. Das ist wichtig, um so feine Unterschiede wie die zwischen einem b und einem p und einem d zu erkennen, ebenso wie Klein- und Großschreibung voneinander zu unterscheiden.
Die visuelle Aufmerksamkeitssteuerung wird im BISC durch Wort-Vergleich-Suchaufgaben getestet. Dafür bekommen die Kinder ein einfaches Wort, z.B. Buch, vorgelegt und sollen dieses Wort aus vier anderen Wörtern wiedererkennen.
Allgemeine Anmerkungen zum Thema Früherkennung einer LRS
Nach der Auswertung dieser vier Parameter kann mit großer Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden, ob ein Kind in der Schule Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben wird. Parallel zu dem Testverfahren wurde auch das Förderkonzept Hören, Lauschen, Lernen für Kindergärten entwickelt. Dieses hilft Risikokindern bis zum Schulstart die notwendigen Vorläuferfähigkeiten für den Schriftspracherwerb zu trainieren.
Eine frühzeitige Erkennung von Lernschwierigkeiten und die entsprechende Förderung bringen für betroffene Kinder große Vorteile. Die negativen Erfahrungen, in der Schule in einem so grundlegenden Bereich wie dem Lesen und Schreiben nicht mitzukommen, bleiben aus. Die Negativspirale, die die sogenannten Sekundärsymptome mit sich bringt, bleibt den Kindern damit erspart.
Es grüßt herzlich
Ihr I.D.L.-Team
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