Ursachen einer Rechenschwäche (Dyskalkulie)

 

Die Frage nach den Ursachen einer Rechenschwäche oder Dyskalkulie sind bei weitem noch nicht umfassend erforscht. Im Gegensatz zu der Ursachenforschung im Bereich der Legasthenie steckt die Ursachenforschung im Bereich Dyskalkulie noch in den Kinderschuhen.

Einige Faktoren, die die Entstehung einer Dyskalkulie erklären helfen, kristallisieren sich jedoch nach heutigem Forschungsstand heraus. Mit diesen beschäftige ich mich in diesem Beitrag und will Ihnen einen ersten Einblick zu diesem komplexen Thema mit auf den Weg geben.

Multifaktorielles Ursachenbündel

Es wird davon ausgegangen, dass es nicht die eine Ursache für eine Rechenschwäche gibt. Vielmehr greifen einige Faktoren ineinander und begünstigen gegenseitig die Entstehung einer solchen – eben ein multifaktorielles Ursachenbündel. Das schauen wir uns im Folgenden mal genauer an.

Unterschieden wird dabei zwischen primären und sekundären Faktoren.

Zu den primären Faktoren gehören genetische und neurobiologische Einflüsse, zu den sekundären psychosoziale und schulische Umstände.

Genetische Faktoren

Wissenschaftlich ist die Frage nach einer genetischen Bedingtheit nicht vollständig geklärt. Zwillingsstudien legen jedoch nahe, dass eine genetische und damit auch erbliche Komponente einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung einer Dyskalkulie haben kann.

Neuronale Faktoren

Mit der Methode der Magnetresonanztomograhie konnten Bereiche im Gehirn lokalisiert werden, die mit dem Lösen mathematischer Aufgabenstellungen verknüpft sind, z. B. wurde gezeigt, welche Areale bei Mengenvergleichen aktiv sind. Dabei war auffällig, dass je geringer der Abstand zwischen zwei Zahlen (z.B. 4 und 5, statt 2 und 9) ausfiel, desto stärker fiel die Aktivität im entsprechenden Gehirnbereich aus. Bei Kindern mit einer Dyskalkulie ist die gesamte Aktivität in diesem Teilbereich geringer ausgeprägt. Das Phänomen der verstärkten Aktivität bei kleineren Mengenabständen zeigte sich gar nicht.
Daraus kann geschlossen werden, dass diese neuronale Fehlentwicklung fundamentale Auswirkungen auf das Verständnis von Zahlenmengenverhältnissen hat (Vgl. dazu Forschungen von Daniel Ansari, University of Western Ontario).

Hinzu kommen große Schwierigkeiten, die Funktion und Bedeutung von Zahlen zu erfassen. So ist für ein dyskalkules Kind die Zahl 5 häufig ein Symbol auf dem Papier, mit dem aber keine Mengenvorstellung verknüpft ist. Dass 5 Dinge mehr als 4 und weniger als 6 sind, wird nicht erkannt. Schwierigkeiten beim Erwerb von mathematischen Grundfertigkeiten sind somit vorprogrammiert.

Entwicklungspsychologische Faktoren

Mittlerweile weiß man durch ausführliche Studien, dass die Entwicklung rechenrelevanter Lernvoraussetzungen bereits im frühen Kindheitsstadium beginnt. Die meisten Kinder kommen mit Vorerfahrungen in die Schule, auf denen der Mathematikunterricht aufbaut.
Erste Anzeichen einer Dyskalkulie sind somit bereits im Kindergartenalter erkennbar. Lernen funktioniert immer auf dem Grundprinzip, dass neues Wissen an bestehendem Wissen anknüpfen kann. Für Kinder mit einer Dyskalkulie bedeutet das den Einstieg in eine Negativspirale: ohnehin fehlen ihnen wichtige Grundkompetenzen, um überhaupt mathematische Fertigkeiten zu erwerben. Das Fehlen dieses benötigten Vorwissens führt wiederum dazu, dass auch das neue Wissen nur unzureichend verarbeitet und verstanden werden kann. Somit sind sie schnell vom Leistungsstand ihrer Mitschüler abgehängt.

Faktoren in der Entwicklung des Wahrnehmungsbereiches

Eine gesunde Ausprägung des Wahrnehmungsbereichs bildet eine wichtige Grundlage zum Erwerb mathematischer Fähigkeiten. Gibt es in diesem Bereich Auffälligkeiten, ist das Lernen mathematischer Inhalte zusätzlich erschwert.
Beobachtet wird des öfteren ein Zusammenhang zwischen dem Berührungs- und Bewegungssinn (taktil-kinästhetischer Bereich), der auditiven und visuellen Wahrnehmung, im Sprachverständnis und den Funktionen des Arbeitsgedächtnisses.
All diese Bereiche vermitteln Kompetenzen, die zum Erwerb mathematischer Fertigkeiten notwendig sind.
Um ein Beispiel zu nennen: Ein Kind braucht eine gesunde Entwicklung im taktil-kinästhetischen Bereich, um rechts und links, oben und unten und weitere Raumvorstellungen richtig zuordnen zu können. Liegen hier nun Schwierigkeiten vor, so fällt es schwer, sich auf einem Zahlenstrahl zu orientieren oder Zahlen zu ordnen und zu vergleichen – Grundvoraussetzungen, um mathematische Operationen korrekt durchzuführen.

Schulische und pyschosoziale Faktoren

Auf Seiten der Schule können häufige Lehrerwechsel, ein zu schnelles Lerntempo, Methodenwechsel, Überforderung durch zu große Klassen oder die Fehleinschätzung bzgl. der mathematischen Leistungen des Kindes die Ausprägung einer Rechenstörung begünstigen, sie aber nicht hervorrufen.

Auch auf psychosozialer Ebene gibt es ein Bündel an möglichen begünstigenden Faktoren. So trägt z. B. bei Vorliegen einer Dyskalkulie stures Auswendiglernen des Einmaleins’ nicht dazu bei, dass das Kind begreift, was es da tut. Verstärktes häusliches Üben mag vielleicht kurzfristig die Leistungen im Fach Mathematik verbessern, aber von einem Kompetenzzuwachs kann nicht die Rede sein. Dies spüren die Kinder und können ein negatives Selbstkonzept entwickeln: Die Kinder trauen sich wenig zu, fühlen sich überfordert und ihr Selbstvertrauen wird instabil.

Auch wenn die Ursachenforschung noch jung ist, so wurden doch schon zahlreiche und sehr erfolgreiche Förderkonzepte für die betroffenen Kinder entwickelt. Je früher diese ansetzen, desto besser stehen die Chancen, dass die Kinder ihre Defizite im mathematischen Bereich ablegen.

In den kommenden Jahren wird die Forschung gewiss zu einem umfassenderen Bild der Dyskalkulie beitragen können. Auch in den Schulen wird die Dyskalkulie mehr und mehr zum Thema und somit steigen die Chancen für die betroffenen Kinder, möglichst früh die benötigte Unterstützung zu erhalten, sodass sich Sekundärsymptome erst gar nicht ausprägen.

Bei weiteren Fragen können Sie sich gerne an uns wenden.

Ihre Jennifer Bubolz (Juli 2015)

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